Ein »Jecke« aus Deutsch Krone – Teil 2
Teil ❷ ▶︎ Edwin Landau wuchs in einer alteingesessenen jüdischen Familie in Deutsch Krone auf, verließ seine Heimatstadt aber 1934, um den Verfolgungen der Nazizeit zu entkommen. 1940 verfasste er in Palästina einen Bericht über sein »Leben vor und nach Hitler«. Im zweiten Teil dieser Arbeit, die in polnischer Sprache erstmals 2023 in Nummer 14 der »Studia i materiały do dziejów ziemi wałeckiej« erschien, wird seine seine Biografie ab dem Jahr 1914 behandelt. Der erste Teil des Aufsatzes ist hier zu finden.
Das Intermezzo im Elternhaus endete im August 1914 mit dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs. Wie überall in Deutschland, wurde auch in Deutsch Krone der Kriegsausbruch begeistert aufgenommen. Landau berichtet:
»[B]esonders die Jugend demonstrierte […] auf Straßen und Plätzen und sang patriotische Lieder. Auch die jüdische Bevölkerung machte keine Ausnahmen, und die Fahnen flatterten von Fenstern und Dächern. […] Die ganze Jugend eilte freiwillig zu den Waffen, und auch viele Juden.«
E. Landau: Mein Leben vor und nach Hitler, S. 60.
Landau war bislang vom Militärdienst zurückgestellt worden, aber am 5. August 1914 fuhr er nach Posen, um sich in Fort Ławica freiwillig zur Fliegerstaffel zu melden. Da er dort nicht angenommen wurde, kehrte er am 24. August1Das An- und Abreisedatum findet sich auf einer Meldekarte: Meldekarte Edwin Landau. In: Archiwum Państwowe w Poznaniu, Population Registry of Poznan 1870-1931. In Posen wohnte Landau bei der verwandten Familie Silberberg in der Großen Gerberstraße 1. zurück nach Deutsch Krone, wo ihn im Januar 1915 ein Gestellungsbefehl nach Stettin erreichte. Landaus Kriegsbegeisterung hatte sich zwischenzeitlich schon abgekühlt, was auch mit den ersten Niederlagen des Kaiserreichs zusammenhängen mochte. Die reale Begegnung mit dem preußischen Militär in der Kaserne ließ seinen Enthusiasmus weiter fallen.
Die Kriegserlebnisse füllen 16 Seiten in Landaus Biographie, auf denen er ausführlich von den Kämpfen an der Front, aber auch vom Leben in der Etappe berichtet. Landau diente als Soldat in Polen und Belarus, erlitt im August 1916 eine Kopfverletzung durch einen Granatsplitter und wurde anschließend in den Lazaretten von Schneidemühl und Pasewalk behandelt. Da die Verletzung einen weiteren Fronteinsatz zunächst ausschloss, leistete er bis Frühjahr 1918 Garnisonsdienst in der Umgebung von Berlin. Das Kriegsende erlebte er an der Westfront in Belgien, von wo aus er sich nach Deutsch Krone durchschlug, das er am 10. Dezember 1918 erreichte. Über die Stimmung in seiner Heimatstadt berichtet er:
»Alle, die ich sprach, waren froh darüber, dass nun endlich nach vier Jahren der Krieg vorbei war, wenngleich mit der Republik nicht alle einverstanden waren. […] Auch ich war im Herzen kein Republikaner, da mir die Monarchie noch zu sehr im Blute lag. […] Interessant war für mich die Tatsache, dass mein Vater ein strammer Republikaner war und meine Mutter stets den Kaiser in Schutz nahm […]«
Landau, a. a. O., S. 28.
In Deutsch Krone widmete sich Landau mit »Energie und Tatkraft«2Landau, a. a. O., S. 29. dem geschäftlichen Leben und wurde im Juli 1919 als Gesellschafter der Firma M. Apolant’s Witwe ins Handelsregister eingetragen3Anzeiger [16218]. Berliner Börsen-Zeitung, 21. Juli 1919, S. [1].. In der Stadt setzte bald eine rege Neubautätigkeit ein, um die stark wachsende Bevölkerung der Stadt mit Wohnraum zu versorgen. Landau, der inzwischen 28 Jahre zählte, genoss als Frontkämpfer das Vertrauen der Behörden, die ihn mit Aufträgen bedachten. Neben der Arbeit initiierte er die Gründung eines jüdischen Jugendbundes, wurde aber auch Mitglied des traditionellen Singvereins, des Schachklubs und des Handwerkervereins. In all diesen nichtjüdischen Vereinen begegnete man ihm »mit Freundlichkeit und in gemütlichen Stunden erzählte man untereinander seine Kriegserlebnisse«4Landau, a. a. O., S. 29,.
Landau registrierte allerdings bald, dass in diesen Vereinen »ein monarchistischer Geist herrschte«5Ebenda, S. 28. Dort ist auch das folgende Zitat zu finden. und auch der Antisemitismus nicht verschwunden war. Dieser zeigte sich zwar nicht offen, aber es wurde schon »bald die Parole ausgegeben […], dass die meisten Juden [im Krieg] Drückeberger gewesen seien«. Um dieser Hetze zu begegnen, engagierte sich Landau in Wałcz für die Gründung einer Ortsgruppe des Reichsbundes Jüdischer Frontsoldaten.
Obwohl Landau politisch interessiert war und viele Wahlversammlungen besuchte, trat er keiner Partei bei. Vielleicht hielten ihn geschäftliche Interessen zurück, denn die Situation in der Stadt war polarisiert und im Gespräch »durfte man sich nicht ganz offenbaren«6Ebenda, S. 30.. Auf der politischen Rechten stand die Deutschnationale Volkspartei (DNVP), die vor allem unter dem evangelischen Mittelstand und den Beamten viele Anhänger hatte. Auf der Linken stand die Sozialdemokratische Partei (SPD), die vorwiegend von der gewerkschaftlich organisierten Arbeiterschaft gewählt wurde. Die jüdischen Bürger und die Angehörigen der freien Berufe neigten häufig der liberalen Deutschen Demokratischen Partei (DDP) zu, während die starke katholische Minderheit sich vom Zentrum vertreten fühlte. Der Antisemitismus wurde von SPD und DDP entschieden zurückgewiesen, in der DNVP hingegen bestand eine starke antisemitisch-völkische Tendenz. Das Zentrum lehnte als dezidiert katholische Partei zwar den Antisemitismus ab, fühlte sich aber auch nicht zur Verteidigung der Juden berufen7Susanne Wein untersuchte antisemitische Demagogie im Reichstag der Weimarer Republik und kam dabei zu folgendem Ergebnis: »Neben der USPD/SPD wiesen mehrere DDP-Abgeordnete antisemitische Aussagen im Reichstagsplenum immer wieder ausdrücklich zurück. Äußerst selten schlossen sich dem Abgeordnete der Zentrumspartei und der Bayerischen Volkspartei an.« S. Wein: Abgeordnete jüdischer Herkunft und Antisemitismus im Weimarer Reichstag. In: Yad Vashem E-Newsletter, September 2012..
Anders als im Reich, das von einer Koalition aus SPD, DDP und Zentrum regiert wurde, schloss sich die DDP in Deutsch Krone zu einer Listenverbindung mit der DNVP zusammen. Im 1919 gewählten Stadtparlament stellte diese Verbindung zwölf Abgeordnete, das Zentrum zehn und die SPD vier – es bestand also ein politisches Patt. Nach der Aussage des damaligen Bürgermeisters Adolf Sperling brachten auch die nächsten Wahlen »keine Verschiebung des Stimmenverhältnisses«8A. Sperling: Geschichte des Kreises und der Stadt Deutsch Krone. 2021, S. 278. Für die Stadt Deutsch Krone ist nur das Ergebnis zur Wahl der Deutschen Nationalversammlung im Januar 1919 überliefert. Das Zentrum erzielte 1538 Stimmen, die DNVP 1016, die DDP 696 und die SPD 1050. Wahlergebnisse im Kreise Deutsch Krone. Deutsch Kroner Zeitung, Dienstag, 21. Januar 1919, S. 1..
Für ein politisches Engagement Landaus wären in diesem Spektrum nur die DDP oder die SPD in Frage gekommen. Bei der SPD stieß ihn als Unternehmer und Arbeitgeber aber der starke gewerkschaftliche Bezug ab und auch die »demokratische Partei konnte [ihn] nicht anziehen«9Landau, a. a. O., S. 36.. Mit diesem Vorbehalt stand er nicht allein; die DDP erlebte schon bald einen Niedergang und in der gesamten Weimarer Republik konnte sich keine stabile demokratische Mittelpartei herausbilden.
Vielleicht abgeschreckt von der widersprüchlichen politischen Situation, konzentrierte sich Landau auf den Beruf und die jüdische Gemeinde, in deren Repräsentantenversammlung er gewählt wurde. Im Jahr 1921 heiratete er in Falkenburg (heute: Złocieniec) die Kaufmannstochter Hedwig Arndt (1900-1975), ein »gut wirtschaftlich erzogenes anständiges Mädchen«10Ebenda, S. 33. aus jüdischer Familie. Die Ehe war ganz traditionell von seiner Schwester Johanna vermittelt worden.
Etwa zu jener Zeit wurde die alte Synagoge in Deutsch Krone – ein Fachwerkbau aus dem Jahr 179111A. Sperling, Geschichte der Stadt und des Kreises Deutsch Krone, 2021, S. 207. – »von der Baubehörde für baufällig erklärt«12Landau, a. a. O., S. 33. und die kleine Gemeinde musste den Neubau in Angriff nehmen, der schon vor dem Ersten Weltkrieg beschlossen13»In der dem Postamt schräg gegenüberliegenden Judenstraße sehen wir noch die Synagoge, die in kurzer Zeit durch einen Neubau ersetzt werden soll …« L. Peters, H. Lücke: Deutsch Krone. Ein Städtebild Westpreußens. [1914], S. 11. worden war. Als Architekt konnte Dr. Ernst Kaftan (geboren 1882) gewonnen werden, der an der lokalen Baugewerkschule unterrichtete. Edwin Landau gehörte der Baukommission ab.
Trotz schwieriger Rahmenbedingungen – 1923 herrschte im Reich Hyperinflation – wurde die neue Synagoge am 21. September 1924 mit einem Festakt eingeweiht, an dem auch die staatlichen Behörden, der Magistrat sowie die evangelische und katholische Geistlichkeit teilnahmen. Landrat Anton Rick (1897-1949) nahm das Gebäude, das im »halbbzyantinischen Stil«14Synagogenweihe. Israelitisches Familienblatt, 16. Oktober 1924, S. 3. In diesem Zeitungsartikel sind auch die weiteren Zitate zu finden. errichtet war und einen »stattlichen Eindruck« machte, unter den Schutz der Obrigkeit. Für die Gemeinde dankten die Vorsteher Leo Schoenfeld (1874-1957) und Sally Hiller (1863-1924) dem »Baumeister, den Maurern und Handwerkern für das gelungene Werk«. Die Weihe der Synagoge übernahmen die Rabbiner Israel Nobel aus Schneidemühl und Dr. Silberstein aus Stargard, denn die Gemeinde in Deutsch Krone hatte seit spätestens 192015Im April 1920 wurde Dr. Adolf Jacobus aus Berlin zum Seelsorger in Wałcz gewählt, der die Stelle aber vermutlich nicht annahm, sondern nach Palästina auswanderte. Kleine Mitteilungen. Israelitisches Familienblatt, 22. April 1920, S. 7. aus finanziellen Gründen auf die Anstellung eines eigenen Rabbiners verzichten müssen16Siehe dazu den Schriftverkehr aus dem Jahr 1922 in Etats- und Rechnungswesen der Synagogengemeinde. Band II (1910-1932), Archiwum Państwowe w Koszalinie, Signatur 26/20/0/2.3/170, Blatt 206 und 214-215.. Die anfallenden Kultushandlungen übernahmen weitgehend Kantor Max Kuhn (Lebensdaten unbekannt) und Mittelschullehrer Julius Schreiber (1874-1950), der bei der Einweihung der neuen Synagoge einen Überblick über die 300-jährige Geschichte der jüdischen Gemeinde der Stadt gab. Er formulierte, die erste Synagoge der Stadt sei ein »Haus der sittlichen Verpflichtung« gewesen, die zweite ein »Haus des Elends«, die dritte ein »Haus der Versöhnung«. Die vierte solle nun ein Beith-Schalom – ein »Haus des Friedens« – werden.
Für den Neubau der Synagoge musste sich die jüdischen Gemeinde, die »aus etwa 75 Familien«17Ebenda, Blatt 257-263. Dort finden sich auch die weiteren Zitate. bestand, hoch verschulden. Da die Kreissparkasse in Deutsch Krone »nicht über genügend Mittel« verfügte, wandte sich Landrat Rick am 16. Februar 1925 an die Preußische Pfandbriefanstalt und die Landesversicherungsanstalt der Grenzmark, um eine Hypothek von 15 bis 20 000 Reichsmark zu vermitteln. Rick schrieb:
»Außer dem Neubau besitzt die Gemeinde noch ein grösseres Hausgrundstück, so dass genügend dingliche Sicherheit vorhanden ist. Die Gemeinde bürgt in jeder Hinsicht für pünktliche Zahlung der Zinsen und Tilgungsraten«.
Landrat Rick am 16. Februar 1925. In: Etats- und Rechnungswesen …, a. a. O.
Beide Anträge wurden jedoch abgelehnt, wie Rick dem Vorstand der Synagogengemeinde am 1. April 1925 bedauernd mitteilen musste.
Die 1920er Jahre brachten für Edwin Landau viele persönliche Veränderungen. Im November 1922 wurde ihm von seiner Ehefrau der Sohn Manfred geboren, »der erste Stammhalter unserer ganzen Familie«18Landau, a. a. O., S. 33. In Palästina nahm Manfred Landau den Vornamen Mosche an.. Am 7. Januar 1923 starb sein Vater Robert im Alter von 71 Jahren. Edwin Landau führte die Firma M. Apolant’s Witwe nun gemeinsam mit der Mutter19Fanny Landau geborene Apolant übernahm im Mai 1923 die Gesellschafteranteile ihres verstorbenen Mannes. Anzeiger [29684]. Berliner Börsen-Zeitung, 15. Mai 1923, S. 4., war aber weiterhin in vielen Vereinen aktiv, sang und spielte Schach. Nach der Geburt des zweiten Sohnes Rudolf im Mai 1926 bezog er mit seiner Familie eine Wohnung in der Kleemannstraße 7 (der heutigen Ulica Dworcowa), in einem Neubau, den er »selbst für einen Baumeister installiert hatte«20Landau, a. a. O., S. 36. Dort ist auch das nächste Zitat zu finden. – Rudolf Landau nahm in Palästina den Vornamen Rafael an.. In seiner Biografie berichtet er:
»In diesem Hause wohnten nur noch evangelische Mieter, mit denen wir stets in bestem Einvernehmen lebten. Auch unser älterer Bub spielte mit den Kindern im Hause.«
Landau, a. a. O., S. 36.
Geschäftlich war Landau erfolgreich, denn es waren »Zeiten eines Aufblühens unserer Stadt, in der viel gebaut wurde«21Ebenda, S. 35.. Es gab »im Allgemeinen ein friedliches Zusammenleben von Juden und Christen […], das vielfach zum freundlichen Verkehr sich entwickelte«22Ebenda, S. 37.. Landau selbst pflegte persönliche Verbindungen zu vielen Beamten der Stadt, die zwar politisch rechts standen, aber »vorbildliche preußische Beamte«23Ebenda, S. 36. waren. Er war Vorstandsmitglied des Vereins für Handel und Industrie, verkehrte mit dem deutschnationalen Bürgermeister Adolf Sperling und hatte den Bürodirektor der Landrats – das war von 1929 an Erich Nitz (1880-1963) – zum Freund.
Das Aufkommen der Nazibewegung in Deutsch Krone datiert Landau – ebenso wie den Tod des Dirigenten des Singvereins – auf das Jahr 192224Ebenda, S. 34., aber das ist gewiss ein Irrtum. Der Schlesier Hans Wewiorka, der seit 1915 in Wałcz als Musiklehrer und Dirigent tätig war, starb erst 192825F. Hamann: Die Musikerziehung an den ehemaligen Lehrerseminaren. 1976, S. 123. und auch die Hitlerpartei war nicht vor 1929 im Deutsch Kroner Land sichtbar26D. Mühlberger: The Occupational and Social Structure of the NSDAP in the Border Province Posen-West Prussia in the early 1930s. 1985, S. 289.. Der Irrtum kann vielleicht damit erklärt werden, dass ein Teil der städtischen Elite später umstandslos von der DNVP zur NSDAP wechselte.
Das Jahr 1929 war für Landau »ein schicksalsschweres Jahr«27Landau, a. a. O., S. 38., denn am 14. April starb plötzlich seine Mutter im Alter von 72 Jahren, und im Herbst brach die Wirtschaftskrise aus, die den vorwiegend landwirtschaftlich geprägten Kreis besonders heftig traf. Die Bautätigkeit in Deutsch Krone brach ein, die große Baufirma Renkawitz musste am 23. Dezember 1929 mit einer »Unterbilanz von 258 000 Reichsmark« ihre Zahlungen einstellen28Zahlungseinstellungen. DAZ, 23. Dezember 1929, S. [8].. Landau verlor dadurch »Tausende Mark« und geriet selbst an den Rand des Bankrotts29Ein bereits eröffnetes Konkursverfahren wurde erst im November 1932 gerichtlich aufgehoben. Musterregister [63428]. Deutscher Reichsanzeiger (Beilage), 8. November 1932, S. 3., weil er »bei den Banken diskontierte Wechsel«30Landau a. a. O., S. 38. Dort finden sich auch die weiteren Zitate. bezahlen musste. Um Kosten zu senken, zog er zurück ins Elternhaus, und vermietete einen Teil der Geschäftsräume an den Verlag der katholischen Tageszeitung Grenzwacht in Schneidemühl.
Die wirtschaftliche Krise führte rasch zur politischen Radikalisierung, die wiederum die Bildung einer stabile Regierung im Reich verhinderte – und die »Anhängerschaft der Nazis wuchs von Wahl zu Wahl«. Auch in Deutsch Krone veranstalteten »bald das Reichsbanner, bald die Nazis und die Kommunisten Umzüge«.
Mit der Radikalisierung wurde auch der Antisemitismus sichtbar. Vermutlich im Jahr 1931 trat Landau mit den anderen jüdischen Mitgliedern aus dem Singverein aus, als es dort zu Ausfällen gegen die Juden kam. Landaus ältester Sohn, der ab 1932 das Gymnasium besuchte, »hatte dort viel von den Mitschülern zu leiden«. Ebenso wie Bürgermeister Sperling war auch Otto Kniese (1898-1977), der leitende Redakteur der Deutsch Kroner Zeitung, inzwischen der NSDAP beigetreten und öfter fand sich »in der Heimatpresse irgendein antisemitisch angehauchter Artikel«31Ebenda, S. 39. Dort finden sich auch die beiden nächsten Zitate.. Bei den wenigen öffentlichen Aufträgen, die in der Krisenzeit vergeben wurden, fand Landau kaum mehr Berücksichtigung.
Am 19. Juli 1932 besuchte Adolf Hitler im Wahlkampf erstmals Schneidemühl »und alles strömte dorthin, um diesen kommenden Mann sprechen zu hören«. Auch das antisemitische Hetzblatt Der Stürmer fand Verbreitung und »[m]an begann auch schon Friedhöfe zu schänden«.
Vor der Reichstagswahl vom 6. November 1932 wurde den Juden in Deutsch Krone Briefe folgenden Wortlauts zugestellt:
»Jude … Du hast kein Recht in Deutschland zu wählen, da du kein Deutscher bist. Tust du es dennoch, so geschieht es auf eigene Gefahr und du wirst vorgemerkt. Du bist gewarnt. Der Ausschuss für Judenausweisung.«
Landau, a. a. O., S. 39. – Dort auch das nächste Zitat.
Die jüdische Gemeinde organisierte dennoch ihre Wählerschaft und Landau erinnert sich, dass sich am Wahltag nichts Besonderes ereignete. Das Wahlergebnis machte sogar einige Hoffnung, denn erstmals seit 1928 hatten die Nazis Stimmen verloren. Als der greise Reichspräsident von Hindenburg dann am 30. Januar 1933 Hitler doch zum Kanzler machte, war das für Landau »ein Gedenktag voll übermenschlicher Tragik« und er analysierte im Ganzen richtig, wenn auch nicht in allen Details korrekt:
»Die Großindustrie, voran Thyssen, Vögler, Klöckner hatten mit ihrem Geld dem Mann zur Kanzlerschaft verholfen, von dem Sie annahmen, er würde ein Spielball in ihren Händen werden.«
Ebenda.
Am Abend des 30. Januar zogen die Nazis in Deutsch Krone – wie in allen Orten des Reiches – im Fackelzug durch die Stadt. Landau wagte nicht, auf die Straße zu gehen, denn »dort war ein Jubel ohnegleichen, und man hörte die Rufe […] ›Juda verrecke‹«. Er berichtet:
»Am nächsten Morgen flatterten von den Häusern die Hakenkreuzfahnen und daneben auch die schwarzweißroten des Kaiserreichs. […] Man sah bei manchen Bürgern einen Zug im Gesicht, den man früher nicht entdeckt hatte. Auch viele Katholiken machten schon mit. […] Dann wurden Neuwahlen ausgeschrieben, die Republik war sang- und klanglos abgetreten.«
Landau, a. a. O., S. 41.
Kurz vor der Reichstagswahl vom 5. März 1933 brannte der Reichstag und mit dem Verbot der Kommunistische Partei folgten die ersten Verhaftungen. Mit dem Ermächtigungsgesetzt vom 24. März 1933 wurde die Reichsverfassung faktisch außer Kraft gesetzt und Nazi-Deutschland zur Diktatur. Bereits am 27. März jagten SA-Männer in Wałcz den katholischen Gymnasialdirektor Max Rohwerder (1888-1967) aus dem Amt32M. Rohwerder: Historia Residentiae Walcensis Soicetatis Jesu. 1967. Über das ähnliche Schicksal von Julius Schreiber, der seit 1930 Rektor der städtischen Höheren Mädchenschule war, berichtet Landau:
»Während der Morgenstunden, als er gerade lehrte, erschienen SA-Leute und schrien ihm in Gegenwart der Schülerinnen zu: ›Machen Sie, Jude, sofort, dass Sie hinauskommen. Sie haben kein Recht, deutsche Kinder zu unterrichten!‹ […] So ging er und die Kollegen sahen ihm nach …«
Landau, a. a. O., S. 43.33Nach der Entlassung aus dem Schuldienst verzog Schreiber nach Berlin. 1940 wanderte er nach Südafrika aus, wo er 1950 verstarb. J. Walk: Kurzbiographien zur Geschichte der Juden 1918-1945. 1988, S. 335.
In besonderer Erinnerung blieb Landau der 1. April 1933 – der Tag eines reichsweiten Judenboykotts:
»In den Vormittagsstunden begannen sich die Posten der Nazis vor die jüdischen Geschäfte und Betriebe zu stellen und jeder Käufer wurde darauf aufmerksam gemacht, nicht bei Juden zu kaufen. Auch vor unserem Lokal postierten sich zwei junge Nazis und hinderten die Kunden am Eintritt. Mir erschien das Ganze unbegreiflich. Es konnte mir nicht einleuchten, dass so etwas im zwanzigsten Jahrhundert überhaupt möglich sein konnte. […] Und doch war es bittere Wahrheit, dass da draußen vor der Tür zwei Jungens in braunem Hemd standen – die ausführenden Organe Hitlers.«
Landau, a. a. O., S. 42.
Nachdem er die erste Bestürzung überwunden hatte, legte Landau seine Kriegsauszeichnungen an und besuchte die jüdischen Geschäfte der Nachbarschaft. Er erlebte dabei auch innerlich eine Wandlung:
»[I]n mir gärte es und ich hätte am liebsten diesen Barbaren meinen Hass ins Gesicht geschrien. […] Dieses Land und dieses Volk, das ich bisher liebte und schätzte, war mir plötzlich zum Feinde geworden. Ich war also kein Deutscher mehr – oder ich sollte es nicht mehr sein.«
Landau, a. a. O., S. 42 u. 43.
Nach dem Boykott wurde Landrat Josef Ortner (1891-1951), der dem Zentrum angehörte, durch Karl Knabe (1888-1868) ersetzt. Bis in den Sommer hinein folgte eine Welle von Hausdurchsuchungen und Verhaftungen von Kommunisten, Sozialdemokraten und Juden. Zu den wenigen namentlich bekannten Opfern gehört Siegfried Salinger (geboren 1900), der Ende Juni 1933 in Deutsch Krone auf offener Strasse verhaftet und anschließend in das Konzentrationslager Hammerstein (heute: Czarne) verschleppt wurde. Dort wurde Salinger, der als aktiver Nazigegner bekannt war, bald nach der Einlieferung zu Tode geprügelt. Da die Bestattung in Deutsch Krone erfolgte und die Leiche Spuren schwerer Misshandlungen aufwies, war das Verbrechen bald der gesamten jüdischen Gemeinde bekannt. Nicht nur Landau berichtet im Rückblick darüber34Ebenda, S. 46., sondern auch Fritz Croner35L. Gross: The Last Jews in Berlin. 1982, S. 25., dessen Vater Willi Croner (1879-1943) letzter Vorsitzender der Chewra Kadischa war. Während Landau die Verhaftung auf den April 1933 datierte, soll sie laut Croner bereits Anfang Februar stattgefunden haben. Die Historikerin Andrea Rudorff hat jedoch erforscht, dass das KZ Hammerstein erst ab dem 28. Juni 1933 Gefangene aufnahm36A. Rudorff: Das Konzentrationslager Hammerstein. 2005. S. 121. Rudorff wies zudem nach, dass in der Regel die Landräte als Kreispolizeibehörden die Anordnung zur KZ-Haft gaben. Diese Datierung deckt sich auch mit einer Erklärung, die Salingers Schwester Selma Spielmann 1967 vor dem deutschen Konsulat in Pôrto Alegre abgab37Eine Kopie der Erklärung befindet sich in meinem Besitz..
Das Nazi-Regime veränderte sehr bald das Alltagsleben in Deutsch Krone: Juden wurden auf der Straße nicht mehr gegrüßt, langjährige Freundschaften zerbrachen. Viele Leute waren »feige und ängstlich geworden«, schreibt Landau, es herrschte »Feindschaft und Misstrauen«38Landau, a. a. O., S. 45. Dort findet sich auch die nachfolgenden Zitate.. Er nennt jedoch auch einzelne Gegenbeispiele, die von großem Mut zeugen.
In der jüdische Gemeinde setzte im Herbst 1933 ein Prozess der Neuorientierung ein. Bislang hatte der Zionismus in Deutsch Krone keine Rolle gespielt, die jüdischen Bürger der Stadt definierten sich im Regelfall als Deutsche jüdischen Glaubens. Nun wurde ihnen diese Identität abgesprochen und ein Teil der Gemeinde wandte sich dem Zionismus zu. Unter der Leitung von Ernst Moses (Lebensdaten unbekannt) entstand zunächst eine Diskussionsgruppe, zu der Landau eingeladen wurde. Beim Gruppenabend war die Jüdische Rundschau ausgelegt, die nach dem Boykott eine Aufsatzreihe »Ja-Sagen zum Judentum« abdruckte. Die Worte berührten Landau sehr:
»Wie wenn man das könnte – die uns zugedachte Infamie innerlich umwandeln zum nationalen Stolz, das Schimpfwort ›Jude‹ als Ehrenname! Würde das nicht einem den Weg heraus zeigen aus der inneren Zerrüttung und Verzweiflung?«
Landau, a. a. O., S. 45.
Auch einige Chaluzim waren an dem Abend anwesend – junge Juden, die sich auf zwei Gütern der Umgebung39Auf den Gütern Ludwigshorst und Georgsthal (bei Hohenstein/Górnica und Kessburg/Karsibór gelegen) wurden von den Besitzern Alfred Kempner und Hans Sternberg seit den 1920er Jahren jährlich etwa 20 Chaluzim ausgebildet. E. F. Ascher: Der deutsche Hechaluz. 1925, S. [1]. auf die Auswanderung nach Palästina vorbereiteten. In der Tristesse des deutschen Alltags wirkten ihre Ausführungen bestechend:
»Palästina […] – das Land unserer Väter […] Und jetzt soll es wieder das Land unserer Kinder werden! Vielleicht sogar auch unser Land!«
Landau, a. a. O., S. 45.
Im Oktober 1933 entstand in Wałcz eine zionistische Ortsgruppe mit 40 Mitgliedern40Ortsgruppen. Jüdische Rundschau, 31.10.1933, S. 737., der sich Landau anschloss. Sein Geschäft ging unterdessen immer weiter bergab:
»Kunden zogen sich zurück und neue kamen nicht dazu. Was sollte das werden …?«
Landau, a. a. O., S. 46.
Landau hatte bereits Mitte Juli 1933 – wohl unter dem Eindruck der Verhaftungen – die Firma M. Apolant’s Witwe an seine Frau Hedwig übertragen41Handelsregister [26921]. Deutscher Reichsanzeiger (Beilage), 15. Juli 1933, S. 2.; jetzt gaben viele jüdische Geschäftsleute ihre Unternehmungen ganz auf, verließen die Stadt oder gleich das ganze Land. Bereits im August 1933 befand sich die Firma Hermann Cohn in Liquidation42Handelsregister [32228]. Deutscher Reichsanzeiger (Beilage), 8. August 1933, S. 2. – Das weitere Schicksal von Hermann Cohn ist unbekannt., im November folgten die Firmen A. Cronheim43Handelsregister [53134]. Deutscher Reichsanzeiger (Beilage), 15. November 1933, S. 2. – Der letzte Inhaber der Firma, Adolf Cronheim, zog nach Berlin und wurde 1943 nach Auschwitz deportiert. Cronheim, Adolf. In: Memorial Book, bundesarchiv.de. und Sally Hiller44Handelsregister [55156]. Deutscher Reichsanzeiger (Beilage), 25. November 1933, S. 3. – Der letzte Inhaber der Firma, Hermann Hiller, emigrierte in die USA. wo er 1976 verstarb. Traueranzeige Hermann Hiller. in: Aufbau, 12. November 1976, S. 25.. Ebenfalls im November übertrugen die Brüder Salomon und Julius Cohn ihre traditionsreiche Großhandelsfirma J. M. Werner an Wilhelm d’Heureuse aus Eberswalde45Handelsregister [51900]. Deutscher Reichsanzeiger (Beilage), 9. November 1933, S. 1. – Julius Cohn emigrierte im Oktober 1934 nach Palästina (Israel State Archives: Naturalization Cohn Julius. In: Government of Palestine, Department of Immigration, Signatur 807/21 7.42-5.42.). Das Schicksal seines Bruders Salomon ist unbekannt..
Vermutlich um die Jahreswende 1933/3446Die Chronologie der Ereignisse wird auch in diesem Teil der Selbstbiografie nicht immer gewahrt. So datiert Landau z. B. den Besuch des SA-Führers Röhm in Wałcz, der erst im April 1934 stattfand, auf den Spätherbst 1933. Andere Ereignisse, die Landau auf Ende 1933 oder Anfang 1934 verlegt, haben nachweislich erst im April oder Mai des Jahres stattgefunden. fasste Landau den Entschluss zur Auswanderung nach Palästina und begann mit der Familie Hebräisch zu lernen. Er schloss sich nun eng an die zionistische Ortsgruppe an, die im Gemeindehaus an der Synagogenstraße47Die einstige Judenstraße in Wałcz wurde in den 1920er Jahren umbenannt in Synagogenstraße, nach der Zerstörung der Synagoge im Jahr 1938 hieß sie Kleiststraße. Anders als die Synagoge überstand das Gemeinde- oder Rabbinerhaus die Nazi-Zeit und wurde erst 1995 abgebrochen. B. Kropp: Auf den Spuren der jüdischen Gemeinde in Deutsch Krone. 1996, S. 278. regelmäßige Schulungen und Vorträge veranstaltete, um sich »gegenseitig aufzumuntern und Mut zu machen«48Landau, a. a. O., S. 49.. Palästina war damals britisches Mandatsgebiet und die Einwanderung unterlag ebenso Restriktionen wie die Auswanderung aus dem Hitler-Reich.
Während Edwin Landau mit dem Pälastinaamt der Jewish Agency und dem britischen Konsulat in Berlin über die Auswanderung verhandelte, organisierte sein Bruder Ludwig im Auftrag des Landesverbands Jüdischer Gemeinden eine Kulturfahrt durch die östlichen Provinzen Preußens, die ihn im Frühjahr 1934 auch nach Deutsch Krone, Jastrow und Schloppe führte. Landau warb für einen »Wiederaufbau des deutschen Judentums« und setzte sich zugleich mit den zionistischen Tendenzen auseinander, die in unterschiedlicher Stärke in den Gemeinden bestanden. Dem Landesverband erschien es zu jener Zeit noch selbstverständlich, dass die »weitaus meisten Juden […] in Deutschland werden verbleiben müssen«49G. Goetz: Die Kulturfahrten des Landesverbandes. Gemeindeblatt, 1. Juni 1934, S. 4. In dem Artikel wird auch der Hintergrund der Kulturfahrten, die in der Zeit vom 18. April bis 13. Mai 1934 stattfanden, behandelt.. Bezüglich Palästinas warnte Ludwig Landau vor einem »zu eifrigen Glaube«, der »Wünsche für Wirklichkeiten«50L. Landau: Kolonialreligion? Der Morgen, Juni 1934, S. 119. setze, und betonte demgegenüber den Wert des »Diasporajudentums«. Vielleicht waren diese Worte – die angesichts des Vernichtungswillens der Hitler-Diktatur wenig Realismus offenbarten – besonders an den Bruder gerichtet, der sich zu jener Zeit anschickte, die Vaterstadt für immer zu verlassen.
Anfang Juni 193451Der Reisepass, mit dem Landau in Palästina einreiste, wurde am 4. Juni 1934 in Wałcz ausgestellt. Siehe dazu die Dokumente in: Israel State Archives: Naturalization Landan Edwin. In: Government of Palestine, Department of Immigration, Signatur 377/7 2.76-2.39. verpachtete Landau seine Geschäftsräume an den Elektromeister Bruno Steinke, verkaufte sein Warenlager und suchte sich eine Arbeitsstelle in Berlin, »um die Zeit bis zur Auswanderung noch auszunutzen«52Landau, a. a. O., S. 49. Dort ist auch das nächste Zitat zu finden.. Seine Frau blieb mit den Kindern vorerst in Deutsch Krone zurück, wo sie Außenstände einzog und den Haushalt auflöste.
In Berlin wohnte Landau bei der ältesten Schwester Johanna, die ihm zuredete, doch in Deutschland zu bleiben – ein Gedanke, der Landau »absurd« erschien. Er fand Arbeit in einer Fabrik für Bierdruck-Apparate, die einst sein Bruder Georg geleitet hatte, der jedoch seit Mai 1933 im Pariser Exil lebte. Der Chef und die anderen Arbeiter der Fabrik hatten nach Landaus Aussage keine Sympathien für das Hitler-Regime.
Ende August 1934 kehrte Landau ein letztes Mal nach Deutsch Krone zurück, um seiner »Frau beim Einpacken zu helfen und alles aufzulösen«53Ebenda, S. 51. Dort sind auch die beiden folgenden Zitate zu finden.. Er verabschiedete sich nun von der Vaterstadt und von den »schönen Seen und Wäldern und anderen Stätten« der Umgebung, der er »so sehr geliebt« hatte. Auf dem Friedhof nahm er von den Gräbern seiner Vorfahren je ein »Efeublatt als Erinnerung und Treueverpflichtung mit«54Ebenda, S. 49..
Zurück in Berlin arbeitete Landau weiter in der Fabrik und regelte letzte Formalien mit den Steuerbehörden, deren Beamte er als »vorbildlich korrekt«55Ebenda., S. 52. empfand. Eine gewisse Tragik überschattete diese Tage, denn Landau ältester Bruder Julius war am 4. September 193456Traueranzeige Julius Landau. Central-Verein-Zeitung, 6.09.1934, S. [7]. Landau gibt als Todestag irrtümlich den 5. September an. plötzlich auf der Strasse zusammengebrochen und im Krankenhaus gestorben. Die Beerdigung auf dem jüdischen Friedhof in Berlin-Weißensee wurde zum letzten Familientreffen.
Am 21. November 193457Israel State Archives: Landan a. a. O. In der Akte sind auch die weiteren Zitate zu finden. registrierten die Behörden der Hafenstadt Haifa die Einreise der Familie Landau nach Palästina. Über die ersten Jahre nach der Ausreise liegen kein Informationen vor, allerdings deutet Landau in seiner Selbstbiografie an, dass er »auch die großen Schattenseiten«58Landau, a. a. O. S. 50. des Lebens in Palästina kennenlernte. Im Februar 1939 beantragte die Familie die Einbürgerung, die am 17. März des Jahres gewährt wurde. Auf dem Formular des Departments of Migration gab Landau als Anschrift die Hamkasher Street in Ramat Gan an; in die Rubrik Occupation schrieb er »Instalator, Sanitar« und der Beamte des Government of Palastine machte »Plumber« daraus.
Die Adresse in der Stadt Ramat Gan gab Landau ebenfalls an, als er im Sommer 1945 über das American Jewish Joint Distribution Committee Hilfspakete an seinen Bruder Georg in Paris sandte59J. D. C. Archives: Georges Landau – Edwin Landau. In: Parcels Ordered in Palestine through AJJDC for Dispatch from USA to France and Belgium, 1945.. Von den sechs Geschwistern hatten die Nazi-Zeit nur Georg und der jüngste Bruder Adolf – dieser im Exil in den USA – überlebt. Edwin Landaus älteste Schwester Johanna starb am 18. Februar 1943 im Ghetto Theresienstadt60Landau Johanna: Death certificate, Ghetto Terezín. In: Institut Terezínské iniciativy, holocaust.cz.. Die Schwester Rosa wurde zusammen mit ihrem Mann Heinrich Goldstein am 26. Oktober 1942 nach Riga deportiert61T. Freier: 22. Osttransport, Transportliste S. 230/5. In: Statistik des Holocaust. und dort am 29. Oktober ermordet62Goldstein, Rosa. In: Memorial Book, bundesarchiv.de.. Der Bruder Ludwig kam in Auschwitz um, wohin er zusammen mit seiner zweiten Frau Charlotte geborene Türk am 17. Mai 1943 deportiert worden war63T. Freier: 38. Osttransport, Transportliste S. 345/12. In: Statistik des Holocaust.. Opfer des Holocausts wurden auch die Nichte Anneliese Baruch geborene Goldstein64Anneliese Baruch wurde gemeinsam mit ihrem Mann Joachim am 17. Mai 1943 nach Auschwitz deportiert. T. Freier: 38. Osttransport, Transportliste S. 337/4. In: Statistik des Holocaust. und die beiden Schwäger, Albert65Albert Arndt wurde am 18. August 1942 in Riga ermordet. Arndt, Albert. In: Memorial Book, bundesarchiv.de. und Martin Arndt66Martin Arndt starb am 17. September 1942 im Konzentrationslager Buchenwald. Arndt, Martin. In: Memorial Book, bundesarchiv.de..
Über das Leben Landaus in Ramat Gan liegen nur wenige Informationen vor. Aus dem Deutsch Kroner und Schneidemühler Heimatbrief ist bekannt, dass er im Jahr 1961 Briefkontakt zu Franz Renkawitz (1890-1965) hatte, dem früheren Inhaber der gleichnamigen Bauunternehmung in Deutsch Krone, der inzwischen in Altenbeken bei Paderborn lebte. Aus dem Briefwechsel teilte der Heimatbrief mit, Landau habe »sich im schweren Daseinskampf wieder emporgearbeitet«:
»Sein ältester Sohn wurde Direktor einer der größten Versicherungsgesellschaften in den USA, während der 2. Sohn in einem Laboratorium in Hollywood tätig ist. Beide machten den 2. Weltkrieg aktiv als Amerikaner mit.«
O. Kniese: Gespräche mit Freunden. in: Deutsch Kroner und Schneidemühler Heimatbrief, Juli 1961, S. 5
Im Februar 1964 wurde Landau ein zweites Mal im Heimatbrief erwähnt, diesmal hieß es, »Edwin Landau (Apolant’s Witwe)« wolle »in diesem Jahr«67O. Kniese: Gespräche mit Freunden. in: Deutsch Kroner und Schneidemühler Heimatbrief, Februar 1964, S. 5. Deutschland besuchen. Ob es dazu kam, ist nicht bekannt. Für Landau wie für die meisten jüdischen Emigranten aus Deutsch Krone war es mit Sicherheit schwer erträglich, dass der Redakteur des Heimatbriefs Otto Kniese hieß – es war derselbe Mann, der Anfang der 1930er Jahre in der Deutsch Kroner Zeitung die ersten antisemitischen Artikel veröffentlicht hatte.
In Ramat Gan schloss sich Landau dem Verband ehemaliger Breslauer und Schlesier in Israel an, bei dessen Treffen er sich auf Deutsch unterhalten konnte. Die deutsche Sprache nutzte Landau auch, als er im August 1972 in der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem ein Gedenkblatt für seine ermordete Nichte Anneliese Baruch-Goldstein68Goldstein, Anneliese. In: Yad Vashem, The Central Database of Shoah Victims’ Names. Das Gedenkblatt unterzeichnete er als Edwin Esra Landau. Der Gebrauch des zweiten Vornamens ist hier erstmals dokumentiert. anlegte.
Edwin Landau starb im März 1975 in Ramat Gan, drei Monate nach dem Tod seiner Frau Hedwig. Die Traueranzeigen, die in den deutschsprachigen Israel Nachrichten69Traueranzeige Hedwig Landau. in: Israel Nachrichten, 20. Januar 1975, S. 6 und Traueranzeige Edwin Esra Landau. in: Israel Nachrichten, 23. März 1975, S. [1]. erschienen, wiesen daraufhin, dass er aus »Deutsch Krone« stammte, das freilich längst Wałcz hieß. In einem Nachruf des Verbandes ehemaliger Breslauer wurde Landaus hervorragende »handwerkliche Tätigkeit« ebenso gelobt wie sein »hohe[s] geistige[s] Niveau«70Edwin Landau, 1890-1975. in: Mitteilungen des Verbandes ehemaliger Breslauer, September 1977, S. 23. Die Mitteilungen druckten in den Jahren 1979 bis 1981 (Nummern 45 bis 49) Ausschnitte der Selbstbiografie Landaus unter dem Titel Mein Leben ab.. Landau selbst hatte schon 1940 selbstironisch angemerkt, er sei »ein richtiger Jecke«71Landau, a. a. O., S. 10. – das war der Spottname, mit dem Juden aus Polen oder Russland die häufig überassimilierten deutschen Juden bedachten.
[Zuerst veröffentlicht in polnischer Sprache in Nummer 14 der »Studia i materiały do dziejów ziemi wałeckiej«, Wałcz 2023, Seite 84-116. Dort findet sich auch ein umfassendes Literaturverzeichnis.]